Meine Stimme für Vernunft - Veranstaltung des SPD-Kreisverbands GAP
Wie können wir dazu beitragen, dass Wahlkämpfe wertschätzender und an den Inhalten orientiert geführt werden, fragte SPD-Bundestagskandidat Enrico Corongiu zum Auftakt der Veranstaltung in Murnau am 9. März 2017. Er ließ auch die persönliche Erfahrung durchblicken, dass er im Wahlkampf als „Halbitaliener“ angesprochen wurde. Aufgrund seines Namens? Von einem „Halbdeutschen“ war jedenfalls nicht die Rede. Ganz abgesehen davon ist er hier geboren und wieso eigentlich diese Zuschreibungen?
Solche Fragen standen, zumal mit Blick auf den jüngsten Wahlkampf in den USA und das Kernthema der SPD, „Soziale Gerechtigkeit“, im Mittelpunkt der Beiträge und Diskussionen.
Kampf gegen Nationalismus, Rassismus und Gewalt
Die SPD kämpft seit 150 Jahren gegen Nationalismus und Rassismus, das eine die Kehrseite des Anderen. Der Soziologe Werner Fröhlich stellte den Bericht über „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Bayern vor“, dessen Veröffentlichung schon vorab einigen Wirbel ausgelöst hat. Im Grunde dürfte er allerdings von seinen Ergebnissen her kaum noch überrascht haben. Die bayernweite Studie, die abwertende Einstellungen gegenüber ausgewählten Gruppen untersucht, hat schwerpunktmäßig acht davon aufgegriffen, die wiederum eng miteinander zusammenhängen. Das Ergebnis war, dass abwertende Einstellungen in Bayern vor allem gegenüber vier Gruppen feststellbar sind: Muslim*innen, Sinti und Roma, Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge. Hauptsächlich beeinflusst oder bestärkt werden diese Einstellungen von einem „Gefühl nationaler Zugehörigkeit“, aber auch das geringe Vertrauen in die Institutionen und so genannte Politikverdrossenheit verstärken Abwertungstendenzen. Werner Fröhlich betonte, in Bayern schaue es „nicht schlechter als in Deutschland insgesamt“ und mit Blick auf die SPD und den „Schulz-Effekt“ meinte auch er, die „soziale Frage“ müsse neu diskutiert werden.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, darüber waren sich die Beteiligten einig, hat mit dem Thema „Soziale Gerechtigkeit“ den wunden Punkt betroffen, der seit der Agenda 2010 der SPD das Leben schwer mache. Insofern zeigte die Veranstaltung nicht nur einmal mehr die Symptome und Ursachen struktureller Gewalt auf. Diese spiegeln sich in den USA in einer drohenden Gewöhnung an einen Wertkonservativismus, der eine nationale Identität und Weltanschauung vorspiegelt, die es in dieser Form gar nicht gibt.
Der gewählte Präsident Donald Trump, der die Sprache dieses Wertkonservativismus nahezu perfekt beherrsche, das machte der gebürtige Amerikaner David Burkhart in seinem Beitrag deutlich, spielt (um nicht zu sagen twittert) auf dieser Klaviatur. Das hat das Koordinatensystem in den USA nach rechts verschoben, bestärkt durch das undemokratische Wahlmännersystem. Was Burkhart, der betonte, die Amerikaner*innen und vor allem Wertkonservativen müssten sich mit dem Rassismus und mehr mit politischen Inhalten auseinandersetzen, bei seinem Hinweis auf das gespaltene Land leider kaum ansprach: In der USA gibt es eine starke Tradition des Widerstands und eine starke Bürgerrechtsbewegung, die das demokratische System dort mitträgt. Mit anderen Worten, indem man sich zu sehr und einseitig auf die Feststellung negativer Symptome und ihrer Ursachen fixiert – wie gegenwärtig die Medien in Form ihrer Berichterstattung über den amerikanischen Präsidenten und Wahlkampf – kommt man leicht in die Gefahr, die positiven Entwicklungen und Kräfte darunter zu begraben.
"Was können wir tun und was wird getan?!"
Die Sozialdemokratin Irmgard Schmidt sprach diesen Punkt in einem Diskussionsbeitrag ebenfalls an, indem sie nachfragte, wie die SPD die Wahlen gewinnen wolle, wenn sie sich auf die Feststellung der Missstände und negativen Seiten beschränkt. Die Frage müsse doch vielmehr lauten: „Was können wir tun und was wird getan?!“
Der Politikwissenschaftler Philipp Dahlmann und Enrico Corongiu wussten darauf Antworten aus wissenschaftlicher und der politischen Praxis zu geben. Philipp Dahlmann betonte, dass die Demokratie in Deutschland aus der Tradition der Aufklärung entstanden sei. Damit sie lebendig bleibt, brauche sie vor allem mündige Bürgerinnen und Bürger und den Dialog. Mit anderen Worten, Menschen, die Zeit und Raum haben, sich Wissen anzueignen, zu reflektieren und Dinge neu zu bewerten. Wir sollten uns also eher die Frage stellen, in welchen Strukturen geht Demokratie verloren und wenn wir sie stärken wollen (wir also wieder „mehr Demokratie“ wollen), müssten wir die Gesellschaft und das Zusammenleben so organisieren, dass Teilnahme und Teilhabe möglich sind.
Philipp Dahlmann, der derzeit seine Masterarbeit über die vielen Gesichter der Verschränkung von Rassismus und Sexismus abschließt, betonte, dass es nicht um Kritik an den Medien geht, wenn die Frage aufgeworfen wird, wie schaffen diese es, bestimmte Ereignisse wie beispielsweise die in der Silvesternacht in Köln zu instrumentalisieren. Vielmehr geht es um die Doppelmoral, dass solche Ereignisse als scheinbare Ursache von Gewalt missbraucht werden, um eine restriktivere Politik und Gesetzgebung durchzuzusetzen.
In den Medien, die sich zumal in einem kapitalistischen System an den Mainstream anpassen, spiegelt sich die Tatsache, dass die Ursachen sexualisierter Gewalt nicht in der eigenen Gesellschaft gesucht werden, sondern lieber nach außen und auf die angeblich „Anderen“ projiziert werden. Gewiss wird dadurch auch ein Mangel deutlich, aber dieser ist nicht bei den Medien an sich zu suchen. Vielmehr wird auch hier der die gesamte Gesellschaft und Demokratie belastende fehlende Freiraum deutlich. Nicht genügende Zeit für gewissenhafte Investigation und Recherche führen zwangsläufig zu Oberflächlichkeit und mangelndem Austausch, dem die Wissensgrundlage entzogen wird.
Notwendig sind Wege in den Dialog und offene Auseinandersetzung
Enrico Corongiu erlebt dies auch im aktuellen Wahlkampf und beschreibt, wie es doch manchmal möglich ist, auf die Menschen zuzugehen und – wie beispielsweise am Internationalen Frauentag in Peißenberg – durch kleine Gesten über Blumen ins offene Gespräch zu kommen. Er griff damit den Hinweis auf notwendige positive Schritte auf und ergänzte sie mit praktischen Beispielen.
Kritik an gesellschaftlichen Missständen und sozialer Ungleichheit, egal ob sie aus der Wissenschaft oder Politik kommt, das machten die Beiträge deutlich, darf nicht im Selbstzweck versanden. Zur Stärkung der Demokratie tragen sie nur dann bei, wenn sie Wege in den Dialog und in offene, manchmal auch schmerzliche Auseinandersetzungen eröffnen.
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Dr. Irmtrud Wojak
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